Zugänglich für alle - was das BFSG für Deinen Onlineshop bedeutet
Worum geht es beim BFSG?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt die EU-Richtlinie zum European Accessibility Act in deutsches Recht um. Es verpflichtet Unternehmen, bestimmte digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten - dazu zählen auch Onlineshops.
Die konkrete technische Umsetzung orientiert sich an den internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 - Konformitätsstufe AA, einem international anerkannten Standard zur Barrierefreiheit von Websites.
Mehr Informationen rund um das Gesetz findest Du z. B. beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales und bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.
Wer ist betroffen?
Das BFSG betrifft grundsätzlich alle B2C Onlineshops - es sei denn, das Unternehmen gilt als Kleinstunternehmen. Das ist nur dann der Fall, wenn beide der folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Weniger als 10 Beschäftigte (Vollzeitäquivalente)
- Weniger als 2 Millionen Euro Jahresumsatz
Diese Schwellenwerte folgen der EU-Empfehlung 2003/361/EG.
Sobald eines der beiden Kriterien überschritten wird, gilt das Unternehmen nicht mehr als Kleinstunternehmen und ist zur Einhaltung der BFSG-Vorgaben verpflichtet.
Unternehmen, die ausschließlich im B2B-Bereich tätig sind, sind vom BFSG nicht betroffen.
Warum auch nicht verpflichtete Shops aktiv werden sollten
Auch wenn Dein Shop formal nicht vom BFSG betroffen ist, lohnt sich Barrierefreiheit sowohl aus sozialer Verantwortung als auch aus geschäftlicher Sicht:
- Mehr Usability für alle: Barrierefreiheit verbessert die Benutzerfreundlichkeit für sämtliche Nutzer:innen. Eine barrierearme Seite ist oft auch für ältere Menschen, mobile Nutzer:innen oder Menschen mit temporären Einschränkungen einfacher zu bedienen.
- Größere Reichweite: Barrierefreiheit erschließt zusätzliche Nutzergruppen, die sonst vom Einkauf ausgeschlossen wären.
- Bessere Conversion Rates: Wer mehr Menschen die Nutzung des Shops ermöglicht, erhöht die Chancen auf Kaufabschlüsse.
- Starkes Signal für Inklusion: Zeigt, dass Euer Unternehmen zukunftsorientiert und sozial verantwortlich handelt. Barrierefreiheit kann in Ausschreibungen oder bei bestimmten Partnerschaften ein entscheidendes Kriterium werden.
- Vorteile bei SEO: Viele Maßnahmen der Barrierefreiheit (z. B. semantisch sauberes HTML, Alt-Texte) verbessern die Auffindbarkeit bei Google.
Was bedeutet Barrierefreiheit im E-Commerce?
Barrierefreiheit betrifft Technik, Inhalte und Design. Sie hilft Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen, z. B. Nutzer:innen mit Seh-, Hör- oder motorischen Einschränkungen, die auf assistive Technologien wie Screenreader, Braillezeilen oder Spracherkennung angewiesen sind.
Hier einige zentrale Anforderungen:
- Alt-Texte für Bilder (für Screenreader erforderlich)
- Ausreichende Farbkontraste, klare visuelle Struktur, gut lesbare Schrift
- Tastaturbedienbarkeit (ohne Maus)
- Verständliche Sprache, auch für Menschen mit kognitiven Einschränkungen
- Keine automatisch wechselnden Inhalte ohne Interaktion (z. B. automatische Slideshows)
- Eindeutig beschriftete Links („Zum Warenkorb“ statt „Hier klicken“) oder ergänzende Link-Titel
- Barrierefreiheitserklärung, dauerhaft und gut sichtbar auf der Website verlinkt (z. B. im Footer)
- 👉 Trusted Shops bietet eine entsprechende Vorlage im Rechtstexter
Diese Liste ist nicht vollständig. Was genau nötig ist, hängt von Deinem Shop, Deiner Zielgruppe und Deiner Technik ab.
Absolute Barrierefreiheit ist in der Praxis kaum erreichbar. Ziel ist ein möglichst barrierearmer Shop - der Weg dorthin ist ein fortlaufender Prozess.
Magento & Barrierefreiheit - aktuelle Einschätzung
Magento bietet von Haus aus keine besonders gute Grundlage für Barrierefreiheit, da es nie mit Fokus darauf entwickelt wurde.
Magento 1
- Veraltete Software, keine Weiterentwicklung
- Viele inkompatible Module
- Barrierefreiheit nur mit sehr hohem Aufwand bis gar nicht umsetzbar
Magento 2
- Moderner, aber nicht WCAG-konform „out of the box“
- Themes und Module oft nicht barrierefrei
- Anpassungen in vielen Bereichen erforderlich
- Barrierefreiheit nur mit sehr hohem Aufwand umsetzbar
Hyvä
- Ab Versionsreihe 1.3.x mit Fokus auf Barrierefreiheit entwickelt
- Wer bereits Hyvä nutzt, aber in einer älteren Version, sollte ein Update auf diese Versionsreihe in Betracht ziehen
- Bietet eine deutlich bessere Ausgangslage
- Drittanbieter-Module und eigene Anpassungen müssen dennoch geprüft werden
Was sollten Shopbetreiber jetzt tun?
- BFSG-Relevanz prüfen (Mitarbeiterzahl, Umsatz, B2C/B2B)
- Barrierefreiheitserklärung erstellen und verlinken
- CMS-Inhalte prüfen: Alt-Texte, Link-Texte, einfache Sprache
- Design analysieren - bei Bedarf anpassen lassen
- Laufend Inhalte kontrollieren - Barrierefreiheit ist kein Einmalprojekt
Barrierefreiheit per Overlay?
In letzter Zeit werden sogenannte Accessibility Overlays häufiger als „einfache Lösung“ für Barrierefreiheit beworben - etwa Tools wie DigiAccess oder AccessiBe. Sie lassen sich schnell in bestehende Shops integrieren, blenden Zusatzfunktionen wie Kontrastumschalter oder größere Schrift ein und versprechen, die Seite „automatisch barrierefrei“ zu machen.
Klingt erstmal gut - oder doch nicht?
Warum solche Tools problematisch sind:
- Keine echte Barrierefreiheit: Accessibility Overlays legen sich nur als visuelle Bedienhilfe über die Website, beheben dabei aber keine strukturellen Barrieren im Code, wie z. B. fehlende Labels, unklare ARIA-Rollen oder eine nicht funktionierende Tastaturnavigation. Genau diese grundlegenden Probleme im HTML und in der Semantik sind jedoch entscheidend für die Nutzung mit Screenreadern und anderen assistiven Technologien.
- Nicht ausreichend für das BFSG: Die Anforderungen des BFSG und der zugrunde liegenden WCAG 2.1 sehen vor, dass die Seite dauerhaft und unabhängig von Zusatztools barrierefrei nutzbar sein muss. Ein Overlay erfüllt diese Anforderung nicht.
- Nutzerfreundlichkeit fragwürdig: Viele Menschen, die auf assistive Technologien angewiesen sind, empfinden solche Overlays als störend - sie lassen sich oft nicht sinnvoll bedienen oder blockieren bestehende Hilfsmittel.
- Typisch für geschlossene Systeme: Solche Tools sind vor allem bei Plattformen wie Shopify verbreitet, wo Entwickler:innen nur eingeschränkt auf das Theme und den Code zugreifen können. Bei Systemen wie Magento besteht dagegen die Möglichkeit, Barrierefreiheit richtig und nachhaltig umzusetzen - direkt im Code, wo es wirklich zählt.
Overlays sind keine Abkürzung zur Barrierefreiheit, sondern eher ein Pflaster auf einer offenen Wunde. Wer das BFSG einhalten und allen Nutzer:innen einen wirklich barrierefreien Zugang bieten möchte, kommt um eine sorgfältige Umsetzung im Frontend nicht herum.
Wie wir Dich unterstützen können
Als Agentur helfen wir Dir gern bei:
- Analyse Deines Shops im Hinblick auf Barrierefreiheit
- Technische Umsetzung (z. B. Tastaturnavigation, Kontraste, Struktur)
- Anpassung des Designs nach Euren Vorgaben
- Integration der Barrierefreiheitserklärung
- Betreuung und Wartung, damit zukünftige Erweiterungen barrierefrei bleiben
Was passiert bei Nichtbeachtung?
- Rechtliche Risiken: Abmahnungen, Bußgelder oder Klagen sind möglich
- Reputationsrisiko: Barrierefreiheit wird zunehmend als Qualitätsmerkmal und Zeichen sozialer Verantwortung wahrgenommen
- Konkrete Auswirkungen: Für Menschen, die auf assistive Technologien angewiesen sind, kann ein nicht barrierefreier Shop praktisch unbenutzbar sein
Aber: Nicht alles muss bis zum 28. Juni 2025 perfekt sein. Es reicht, wenn wesentliche Anforderungen erfüllt sind und in der Barrierefreiheitserklärung klar kommuniziert wird, welche weiteren Maßnahmen geplant sind.
Fazit
Das BFSG ist mehr als eine gesetzliche Pflicht. Es ist eine Chance für zukunftsorientierte, inklusive Onlineshops. Wer frühzeitig handelt, profitiert langfristig - rechtlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Schnelle Lösungen wie Accessibility Overlays mögen verlockend erscheinen, doch echte Barrierefreiheit erfordert eine durchdachte Umsetzung im Code und ein Verständnis für die Bedürfnisse aller Nutzer:innen.
Barrierefreiheit ist kein Trend, sondern ein Qualitätsmerkmal mit Zukunft - sie macht Deinen Shop zugänglich für Menschen, die bisher ausgeschlossen waren. Wer mehr Menschen erreicht, verkauft auch mehr.
Wenn Du Fragen hast oder Unterstützung brauchst: Melde Dich bei uns. Gemeinsam bringen wir Deinen Shop barrierefrei in die Zukunft! 🚀